48°12‘48.8″N 16°20’10.8″E
48.213560, 16.336330
Georgina blickte abwechselnd auf die Malerei auf der Karte und das bunte Muster im Eingang. Das Babygesicht war nirgends zu finden. In diesem Augenblick wurde sie von einer Schulklasse umringt. Ein Mann mit grüner Baseballkappe grüßte sie und begann mit einer Führung: „Die Außenfassade der Brunnenpassage wurde vom Künstler Stefan Wirnsperger gestaltet. Er hat sich von der internationalen Sprache der Kelim-Teppiche inspirieren lassen. Kelims schmücken Wände oder Böden in vielen Teilen der Welt. Sie sind am Balkan und in der Türkei besonders verbreitet. Von dort kommt auch die Mehrzahl der OttakringerInnen.“ Der Künstler hatte sich Österreich als Fleckerlteppich vorgestellt. Georgina musste an den schönen Kelim denken, den sie nach der zweiten Türkenbelagerung von einem osmanischen Händler gekauft hatte. Sie liebte es, im 18. Jahrhundert zu schwelgen! Damals war etwas Wundervolles passiert. Orientalisches war in Mode gekommen – österreichische Komponisten wie Mozart oder Beethoven schrieben türkische Märsche, Kaffeehäuser wurden eröffnet, man tanzte und kleidete sich alla turca.
Erst jetzt spürte sie, dass sie die ganze Zeit angestarrt worden war. Dort war es also! Das Baby beobachtete die vorbeilaufenden Menschen durch eine dicke Farbschicht hindurch. War es zum Schutz hier? Georgina war sich nicht sicher, aber sie wusste, wenn die Monster an einem so beliebten Ort wie diesem zuschlagen würden, wäre das eine Katastrophe! Monster bestehen vor allem aus Angst, einer großen Portion Einsamkeit und Neid. Da sie keinen eigenen Körper haben, besetzen sie die Hirne der Menschen und infizieren sie mit ihren widerlichen Eigenschaften.
Aus der Brunnenpassage drang nun laute Musik. Eine Tür öffnete sich und eine Gruppe Jugendlicher sprang auf den Yppenplatz. Das machte Georgina froh. Ottakring erinnerte sie an das, was sie so an Wien mochte: Das Wien nicht nur eine Stadt war, sondern aus vielen Städten bestand. „Leider sind Menschen sehr vergesslich“, dachte sie. Die Monster ließen Menschen Dinge sagen wie ‚Österreich den Österreichern‘ oder ‚Geh hoam, Bruder‘. Mit ihren 468 Jahren hatte Georgina viele Österreiche kennengelernt. Österreiche in allerlei Größen, Farben und Launen. Wie konnte es sein, dass die Leute in diesem Land noch immer Angst voreinander hatten? Woher kam diese Angst?