48°12‘47.3″N 16°21’36.2″E
48.213133, 16.360068
Seine Tochter war immer bedeutend gewesen. Kastalia war die Nymphe der delphischen Quelle. Es war jene Quelle, die den Priesterinnen des Orakels diente. Kastalia war die Heilige der Musen und die Priesterinnen tranken von ihrer Quelle, um das nötige Wissen und die Weisheit für ihre Vorhersagen zu bekommen.
Deswegen lag Acheloos ihr gerne zu ihren Füßen, in der Form, die für ihn am natürlichsten war: die Schlange. Als Flussgott konnte er seine Form beliebig wandeln. Gegen Herakles hatte er als Stier gekämpft. Das hatte ihm jedoch nicht geholfen hatte, da dieser eines seiner Hörner abgebrochen, und gegen ihn verwendet hatte. Die Schlange war ihm lieber. Sie war wie das Wasser selbst, fließend und gewunden.
Jene, die dem leisen plätschern der Quelle Kastalias lauschten, oder von ihrem Wasser tranken, diente diese als dichterische Inspiration. Dies war nicht, wie oft gedacht, Acheloos Geschenk an seine Tochter, nein. Das war allein ihre Gabe. Die Schriften auf ihrem Thron lasen: “Ich bin Kastalia, die Tochter des Acheloos” und “Schlaf ward mir zu Traum, Traum zu Wissen”. Wissen versprach sie, an all jene, die sich Nahe ihrer Quelle im Zentrum der Universität aufhielten. Wissen und Weisheit, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Als sie 1910 auf ihrem Thron Platz genommen hatte, dachte sie viel an die Menschen in diesem Land und ihre Entscheidungen. Gerade erst war das Wahlrecht für alle Männer eingeführt worden. Egal welchen finanziellen Hintergrund jemand hatte, ER durfte nun wählen. Davor war dies das Privileg der Besitzenden und Gebildeten. Den Frauen jedoch, war die politische Teilnahme in ihrem Land nicht gestattet, egal welchen Standes sie waren. Erst 1918, mit der Gründung der Republik, wurde auch Frauen das Recht zu Wählen gewährt. Und selbst das nur mit einer Auflage. Die Christlich-Sozialen stimmten dem Frauenwahlrecht nur unter der Bedingung zu, dass Frauen nur mit farblich gekennzeichneten Kuverts wählen durften. Dies diente der “Beobachtung” des Wahlverhaltens der Frauen und war bis 1930 der österreichische Normalzustand. Danach wurden keine unterschiedlichen Kuverts mehr verwendet. Außer in Wien, Wien war anders. Dort wurde 1954 diese Praxis wieder eingeführt und bis 1996 beibehalten.
Das Wahlrecht war allerdings nicht das Einzige, das die Muse störte. Sie störte auch, dass im Arkadenhof der Universität keine Wissenschaftlerinnen geehrt wurden. Die Büsten bedeutender Menschen waren ausschließlich jene von Männern. So beschloss Kastalia irgendwann von ihrem Thron aufzustehen, den Arm in die Höhe zu reißen und gegen die Universität zu protestieren! Der Muse hatte es gereicht! Erneut war Acheloos stolz auf seine Tochter. Er wusste, sie benötigte seine Zustimmung nicht, und dennoch sah er ihr gerne dabei zu, wie sie sich wehrte, wenn ihr etwas nicht passte und ihre Rechte verteidigte. Bis zum Jahr 2016, waren sie und Marie von Ebner-Eschenbach die einzigen Frauen im Arkadenhof der Universität. Und sogar Marie hatte nur eine Plakette, keine Büste.
Das war auch der Grund warum bei ihr der grau-violette Nebel erschien. Doch als im Jahr 2016 dann andere wichtige Frauen der Wissenschaft geehrt wurden verflog der Nebel wieder. Sie blieb zur Sicherheit stehen, denn noch gab es einiges, für das sie demonstrieren musste. Aber sie fand, es war ein erster Schritt getan. Ihr Vater jedoch, Acheloos, war eingehüllt in dickem Nebel. Er konnte nichts mehr sehen, und auch die Quelle zu seinen Füßen oder die Schreie seiner Tochter konnten ihn nicht mehr vor diesem Grant erretten. Der Nebel zog in die Bibliothek und die Bücher, in die Lehrsäle und auch deren Professorinnen und Professoren und die Studierenden waren vor ihm nicht gefeit. Bis, eines Tages, eine Person vor ihnen Stand. Im Schatten seiner Tochter, am Fuße des Brunnens. Es war eindeutig eine Monsterjägerin, oder war es ein Monsterjäger? Er konnte durch den Nebel kaum etwas erkennen. Doch er fühlte schon die Veränderung und, dass sich der Grant aus seinem Gemüt zu verziehen begann.