48°13‘55.6″N 16°19’43.3″E
48.232100, 16.328680
Auf der Tramfahrt spürte Georgina einen seltsamen Druck auf den Ohren. Sie schluckte dreimal tief, wie es Taucher oder Flugreisende zum Druckausgleich machen. Mit der rechten Hand fühlte sie ihren Puls. Und in der Tat! Ihr Blutdruck, der sich gewöhnlich um die 80 zu 60 mmHg bewegte, durchaus normal für eine Frau Ü400, lag nun bei rasenden 110 zu 60 mmHg. Das kam nicht etwa vom Zeitreisen, nein, es war ein untrügliches Zeichen für Monster-Grant.
Während der beiden Belagerungen im 16. und 17. Jahrhundert, hatten die Ottomanen versucht, Wien einzunehmen. Vorstädte waren geschleift worden; Häuser lagen in Trümmern und viele Menschen waren gestorben. Türkengassen, Türkenkugeln, Türkenhöfe, Straßennamen, Denkmäler und Befestigungsanlagen sollten noch lange an diese schwere Zeit erinnern. Das Wort „Türke“ war mit Hass und Angst aufgeladen worden. „Warum gab es eigentlich kein Denkmal für Erdinç?
E r d i n ç!“ Die Aussprache des geliebten Namens wirkte noch heute wie ein Elixier. Während der Belagerung hatte sich Georgina unglücklich in einen osmanischen Wesir verliebt und war zwischen die Fronten geraten. Die Denkmäler und Straßennamen Wiens dagegen schienen nur eine Erinnerung zuzulassen: Die des bösen Türken. In diesem Moment hupte es laut und Georgina sprang mit einem Satz auf den Bürgersteig. Verdammt nochmal! Sie wollte und konnte sich nicht an diese neumodischen Metallmonster gewöhnen.
Nun stand sie direkt vor dem imposanten Eckgebäude mit der Aufschrift Türken=Hof. Auf dem Nachhauseweg war sie oft daran vorbeigelaufen. Halbmond und Morgenstern auf der Turmspitze waren ihr nicht aufgefallen. Auch die Figuren an der Fassade sah sie jetzt zum ersten Mal. „Das sind Trutzfiguren,“ hatte ihr Hayriye erzählt, „sie sollen den Passanten Respekt einzuflößen.“ Doch wem sollten sie eigentlich trotzen – was vor wem beschützen. Aus ihren acht Mündern quoll eine seltsame Substanz. Die Figuren wirkten fast hilflos. Als müssten sie eine Lüge heraufbeschwören, vor der sie sich selbst fürchteten. Hayriyes Sammlung enthielt ein Gemälde der Achtgeber als Erinnerung daran, „dass die Wirklichkeit nicht so schwarz/weiss ist, wie manche vielleicht glauben wollen.“ Georgina musste schmunzeln. Sie richtete sich mit erleichtertem Herzen an sie: „Habt keine Angst, ihr lieben Acht! Lasst uns lieber gemeinsam aufpassen, dass wir den Teufel nicht an die Wand malen!“
Tipp: Das Wut-Spiel. Schau einem Freund oder einer Freundin in die Augen. Guckt beide so wütend wie möglich. Wer zuerst lacht, hat verloren.