Im Foyer des Theaters in der Josefstadt,
an der Wand
48°12‘34.6″N 16°21’03.5″E
48.209606, 16.350958
Einmal noch, wollte sie dem Theater Lebewohl sagen. Einmal noch den Masken zuwinken, die sie so oft hatte tragen dürfen und von denen sie bei weitem nicht genug hatte. Schauspiel war ihr Leben, doch Wien wollte sie nicht leben lassen. Nach Paris wollte sie als nächstes, dann vielleicht London. Hauptsache aber weg von diesem unsäglichen Menschen, dem sie vor 4 Jahren ihr Ja-Wort gegeben hatte. Rachsüchtig hielt er sie davon ab, das zu tun, was sie tun wollte, diejenige zu sein, die sie sein wollte – Künstlerin und Erfinderin. Außerdem war das Klima in Österreich und Deutschland toxisch geworden. Nein, es gab keinen Weg daran vorbei, sie musste fort aus dieser Stadt, aus diesem Land. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie nicht mehr zurückkehren würde.
Später, sie war alt geworden, dachte sie gerne an ihr Wien, beim Milkshake trinken, beim Zähneputzen oder auch beim Telefonieren. Wien – die Stadt ihrer Jugend. Die Stadt der Musik und Literatur. Dann summte sie den Donauwalzer und dachte auch an ihre erste Rolle in der Josefstadt. Damals unter’m Max Reinhardt in “Das schwache Geschlecht”. Das waren noch Zeiten.
Das war vor der größten Errungenschaft ihres Lebens: das Frequenzsprungverfahren. Dieses entwickelte sie erst im Exil, als sie Österreich endgültig den Rücken gekehrt hatte.
Es war eigentlich recht simpel, fand sie, aber dennoch war es lange Zeit unknackbar.
Frequency Hopping half bei drahtlosen Datenübertragungen, die Nachricht vor dem Mithören anderer zu schützen, indem nicht nur auf einer Frequenz gesendet wurde, sondern über mehrere verstreut. Nur wenn man das Muster kannte, konnte man die Nachricht als Ganzes empfangen.
Das Militär fand, wie so oft, zuerst Gefallen daran, um mit dem Verfahren eine sichere Fernsteuerung von Torpedos zu ermöglichen. Plötzlich war es dann aber überall: in schnurlosen Telefonen, im W-Lan und im Bluetooth.
Manchmal erzählte sie ihren Freunden davon, dass das alles auf ihre Kappe ging – geglaubt hat ihr keiner. Sie war ja schließlich Schauspielerin, keine Erfinderin. Dass man beides sein konnte, daran glaubten die wenigsten. Und obwohl sie erfunden hatte, was nun weit verbreitet war, fand sie, Zeit ihres Lebens dafür weder Anerkennung, noch Geld.
Vielleicht dachte sie deshalb so gerne an die beiden Masken in der Josefstadt.
Als sie noch niemand kannte, waren da die zwei. Jeden Tag sah sie die beiden. Sie stand vor dem Eingang zum Theater und glotzte der Figur vor sich in die Augen. Nur dort waren keine Augen. Es war ein Gesicht ohne Gesichtszüge. Ein Schatten ihrer selbst. Und genau das war sie auch im Grunde: eine Kopie, ein Zwilling. Ihr Doppel.
Es gab auch zwei Hedys. Hedy die Schauspielerin, der Star und Hedy die Erfinderin, die Unbekannte.
Die eine Maske den Mund tragisch geöffnet, die andere zu einem neuen Streich aufgelegt. Zwei Seiten einer Person. Zwei Seiten einer Geschichte. Beide schauten immer etwas grantig, was sie durchaus passend zum Wiener Sentiment fand. Damals waren die Masken ein wunderbarer Informant für den neuesten Klatsch und Tratsch. Und, sie vertraute ihnen ihre Ideen und Erfindungen an. Die Masken wussten Bescheid. Wurden Vertraute, in einer misstrauischen Situation.
Was wohl aus den beiden geworden ist? Ob sie noch genauso z’wider dreinschauen, wie damals? Sie mochte das ja. Manchmal glaubte sie auch, dass eine der Masken ihr zuzwinkert. Ob noch jemand mit ihnen sprach, so wie sie das früher so gerne getan hatte? Oder ob sie nun, einsam und vergessen, ihr Dasein fristeten?