48°12‘41.5″N 16°22’26.9″E
48.211530, 16.374137

Es war einer jener Tage, an denen einfach nichts klappen wollte. Zunächst hatte sich im Code irgendwo ein “Bug” eingeschlichen, und dann hatte er sich am Nachhauseweg irgendwo in den Gassen des Ersten verlaufen.

Er stand vor der Jerusalemstiege, und wollte gerade eine Passantin nach dem Weg fragen, als Heinz die Wand zu seiner Rechten bemerkte. Entweder er wurde langsam verrückt oder – vor ihm war eine überdiemensionierte Lochkarte. 

Von den Gebäuden, die hier früher standen, waren nur noch diese Stempen übrig geblieben, und die bildeten nun direkt vor ihm das bauliche Abbild eben einer Lochkarte. 

Nein, er war nicht verrückt geworden, obwohl, wenn man seine Studierenden befragt hätte, hätten diese sicher eine andere Aussage getätigt. Speziell nach der letzten Vorlesung zur Geschichte des Computers. Als er davon erzählte, wie er, als einer der Ersten wohlgemerkt, einen Transistorencomputer in Europa baute. Und das ausgerechnet hier, im verstaubten Wien. Der Computer war so groß wie vier Kleiderschränke und hatte weder einen Bildschirm, noch eine Maus. Programmiert wurde über Lochkarten, wie eben jene, die er gerade glaubte, vor sich zu sehen. Er hatte das “Mailüfterl”, wie er ihn nannte, selbst gebaut. Aus 3000 Transistoren und über 20.000 Metern Schaltdraht. Und er hatte es gemacht, weil er es konnte – und vielleicht auch, weil ihn niemand aufgehalten hatte. Damals noch als Assistent und nicht als Professor. So viele Freiheiten traute man heute keinem mehr zu, nicht mal den Professoren. Wien war die Stadt der Prachtbauten, und ausgerechnet hier an dieser Ecke im ersten, gab es ein Bauwerk, dass ihn an eine Lochkarte und dadurch an sein Mailüfterl erinnerte. 

Das waren noch Zeiten, als sie versucht hatten anhand der Geräusche aus einem Radio herauszufinden, ob etwas mit dem Gerät nicht stimmte. Das ging in etwa so: Der Rechenvorgang hatte einen gewissen Rhythmus. Diesen konnte man mit einem Radio abhören. Wenn ein Dauerton lief, wussten sie, dass etwas schief gegangen war und man den Rechenvorgang am nächsten Tag erneut starten musste. “Wie einen Kranken auf der Intensivstation, haben wir ihn damals überwacht”, dachte er sich. 

Zum Programmieren nutzten sie eben jenes Werkzeug, das die Computertechnik von den Webstühlen übernommen hatte: die Lochkarte. Und generell waren Computer zu dieser Zeit primär Menschen und meistens Frauen. Computer war nämlich eine Person, die Dinge berechnete. Aber natürlich waren da auch Menschen, welche mit den ersten nicht-menschlichen Computern arbeiteten. Zum Beispiel die ENIAC Girls, die 1946 in den USA den ersten vollelektronischen Rechner programmierten. Oder Kathleen Booth, welche die erste Assemblersprache entwarf, das Grundgerüst zur einfacheren Kommunikation mit einem Computer. Alles Menschen die er wahnsinnig bewunderte. 

Heinz musste schmunzeln. Fortan wandelte er gerne in den Gassen des 1. Bezirks umher und besuchte seine geheime “Lochkarte”. Bis es ihm eines Tages nicht mehr möglich war. 

Zuerst dachten sich die 13 Stoppeln nichts dabei. Ihr Heinz würde schon noch, normalerweise gegen Ende der Woche, vorbeischauen. Doch dem war nicht so. Es wurde still, um die Jerusalemstiege. Keine beachtete die weiße Hauswand, die kleinen Stoppeln und niemand sah sie, als das, was sie wirklich waren: eine überdimensionierte Lochkarte. 

Ob ihrer verlorenen Identität wurde es düster um sie. Schwarz wie die Nacht drang ein Nebel aus dem Boden und saugte jede Fröhlichkeit aus ihnen. Der Grant hatte von ihnen Besitz ergriffen. Jene Krankheit die Wiener Monster gerne befällt, wenn man sie nicht, oder zu wenig beachtet. 

Der Grant war so groß geworden, dass es zeN>.<Zen, als sie mit ihrem Fahrrad an der Jerusalemstiege vorbeizischte, fast vom Sattel geworfen hätte. Sie erkannte den grauen Nebel sofort. “Na servas”, dachte sie sich, “das muss ich gleich der Georgina erzählen!”.